3 Handlungsfelder für Führung #2: Strukturen

31. Mrz 20

Inhalt

  1. Wozu Strukturen?
  2. Haben sie eine aktuelle "Straßenkarte" für ihr Unternehmen?
  3. Erst die Vision, dann die Struktur
  4. Effektivität vor Effizienz
  5. Ein paar theoretische Grundlagen
  6. Agil oder nicht agil - ist das hier die Frage?

Wozu Strukturen?

Die funktionelle Seite von Strukturen

Berufsbedingt besuche ich oft für mich unbekannte Städte. Verbringe ich eine Nacht dort, liebe ich es, mir die Stadt abends zu erschließen. Entweder ganz altmodisch als Flaneur oder beim Joggen oder Radfahren. Dabei stelle ich sofort die Unterschiede der städtischen Struktur im Vergleich zu anderen Städten fest. Verkehrsstrukturen sind wichtig, denn durch sie funktioniert eine Stadt.

Rein funktional sollen Verkehrsstrukturen einer Stadt es möglich machen, schnell, einfach und ohne großen Aufwand von einem Punkt zum anderen zu kommen.

Wie funktioniert das in dieser Stadt? Komme ich schnell von einem Ende der Stadt zum anderen? Funktionieren die Verbindungen, oder muss ich weite Umwege fahren? Stehe ich an jeder Ampel oder wird der Verkehrsfluss intelligent geregelt? Sind die Verkehrswege zentralistisch zu einem Kern aufgebaut (wie z.B. Paris) oder eher heterogen (wie z.B. Hamburg). Funktioniert der ÖPNV oder leiht man sich besser ein Fahrrad? Sind die Wege gut in Schuss oder ist eher ein geländegängiges Fahrzeug angebracht? Ist die Verkehrsführung durch die Beschilderung einfach zu erfassen, oder nimmt die Beschilderung alle Aufmerksamkeit in Anspruch - und man verfährt sich dann doch? 

Die emotionale Seite von Strukturen

Verkehrsstrukturen haben für mich auch eine emotionale Seite: Wie sind die Leute so drauf in der Stadt? Es gibt Städte mit dauergenervten Verkehrsteilnehmern. Da wird gehupt, geschimpft, Spurwechsel auf für Ortsfremde blockiert. Und andere Städte haben relativ entspannte Verkehrsteilnehmer, die gelassen auf unbeholfene Navigationsversuche Ortsfremder reagieren, einem Platz machen und sogar mal ein Lächeln haben. Es ist meine feste Überzeugung: Schlechte Verkehrsstrukturen führen zu schlecht gelaunten Menschen!

Und die Wege selbst: Sind sie voller Schönheit (Elbchaussee in Hamburg), dann freut man sich auf das Privileg, sie nutzen zu dürfen, auch an einem ungemütlichen deutschen Novemberabend. Führen die Wege durch unfassbare Hässlichkeit (die alte Fußgängerzone in Bremerhaven), ist der Weg auch an einem sonnigen Frühlingstag eine Qual. Daher liebe ich Navigationssysteme, die die Routenoption „schöne Wege“ haben und die entsprechenden Strecken auf der Karte grün markieren.

Total begeistert bin ich immer von intelligenten Lösungen. Z.B. von der temporären Einbahnstraßenregelungen in der Sierichstraße in Hamburg! Das ist immer spannend, gerade zum Zeitpunkt der Umstellung!


Strukturen in Unternehmen

Berufsbedingt besuche ich oft für mich unbekannte Unternehmen. Auch hier gehört die Entdeckung der Organisationsstrukturen zu meinen wichtigsten Aufgaben. Denn Organisationsstrukturen zeigen, wie ein Unternehmen funktioniert. 

Gibt es im Unternehmen direkte und schnelle Verbindungen zu allen Abteilungen? Oder können Teammitglieder nur über den Vorgesetzten mit anderen Teams kommunizieren? Gibt es zentralistische oder heterogene Strukturen? Gibt es Baustellen, die die Funktion von Strukturen behindern? Oder permanent rote Ampeln, die den „Verkehrsfluss“ bremsen? Sind die wichtigsten Verbindungen entsprechend stark ausgeprägt oder eher dünn und damit anfällig für Störungen? Kann jeder Ortsunkundige die Strukturen schnell erfassen, oder gibt es viele stille Hindernisse? Kennt jeder Mitarbeiter die Strukturen und weiß grob, womit sich die anderen Abteilungen beschäftigen und wer bei welcher Fragestellung behilflich sein kann?

Frage ich in Unternehmen nach einer "Straßenkarte", bekomme ich meist ein Organigramm in die Hand gedrückt. Also das Ding, das vor 12 Jahren der Praktikant mal erstellt hat, damit man sowas zum Abheften hat. Ich frage dann immer nach einer aktuellen Version, möglichst interaktiv, alternativ zumindest mit roten (Verkehrsbehinderungen) und grünen Strecken (schöne Routen) bzw. Stellen. Die gibt es merkwürdigerweise in keinem Unternehmen. 

Dabei ist genau das eine wichtige Aufgabe von Führung: Eine Organisationsstruktur zu bauen, die in der Lage ist, die Unternehmensvision umzusetzen. Das geht nämlich nicht mit jeder x-beliebigen Struktur! Die Organisation von Unternehmen hat gegenüber der Verkehrsplanung in Städten den wesentlichen Vorteil, dass sie flexibel änderbar ist. Was leider nicht überall bekannt ist. 

Jeder Verkehrsteilnehmer muss den Sinn des Unternehmens kennen und seinen eigenen Beitrag dazu. Dann hilft es, klare Wegweiser aufzustellen und den Verkehrsfluss intelligent zu regeln. Wenn eine Organisationsstruktur funktioniert, hat das direkten Einfluss auf die Laune der Verkehrsteilnehmer (egal ob Kunden, Lieferanten oder Mitarbeiter). Mangelnde Funktion dagegen führt zu Verschwendung und Demotivation. Oder macht es Ihnen Spaß, permanent in einer Stadt vor roten Ampeln zu stehen?

Und wenn man nun noch aus roten Strecken grüne macht, auf deren Benutzung sich alle Verkehrsteilnehmer freuen, macht man als Führungskraft einen guten Job. 

Man beachte die Nutzung der Präsens im letzten Satz. Denn dieser Job ist niemals abgeschossen. Eine gute Organisationsstruktur lebt. Sie passt sich an neue Anforderungen an, sie lernt aus Fehlern, sie stößt alles Überflüssige ab und experimentiert auch gerne mal mit neuen Elementen.

Tipp 1: Erstellen sie eine aktuelle „Straßenkarte“ für Ihr Unternehmen!

Erstellen Sie eine Straßenkarte für ihr Unternehmen! Tun sie das mit allen „Verkehrsteilnehmern“, also mit Kunden, Lieferanten und Mitarbeitern. Und seien sie dabei absolut ehrlich, sonst ist es sinnlos. Und hinterfragen sie die Unternehmensstruktur in regelmäßigen Abständen. Fragen sie dabei immer „ist das die Struktur, mit der wir unsere Unternehmensvision am besten erreichen?“. Und auch: „Wo hindert uns unsere Organisationsstruktur, unsere Unternehmensvision zu erreichen?“. Versuchen Sie, permanent an der Verbesserung ihrer Organisationsstrukturen zu arbeiten.

Tipp 2: Funktionierende Strukturen sorgen für zufriedene Nutzer

Sorgen Sie für „grüne“ Strecken. Es muss eine Freude sein, ihre Unternehmensstrukturen zu nutzen. Für Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter. Weil es zu Lösungen führt. Weil man alle gemeinsam nach dem Unternehmensziel strebt. Weil man die Herausforderungen anderer Unternehmensbereiche kennt. Und einfach: weil man freundliche Menschen trifft, die einfach nach einer tollen Lösung für gemeinsame Probleme suchen und diese umzusetzen in die Lage versetzt sind.

Die Struktur leitet sich ab von der Unternehmensvision

In erster Priorität realisieren Mitarbeiter in Organisationsstrukturen die Unternehmensvision, Ziele und Werte. Ohne Strukturen passiert keine Arbeit. Ohne passende Strukturen geschieht keine zielgerichtete Arbeit.

Nur die Strukturen, die auf die Zielgrößen einzahlen, sind nützliche Strukturen. Ohne passende Strukturen besteht das Risiko, dass eine Organisation an die Zielgrößen vorbei arbeitet. Passende Strukturen ermöglichen also erst eine effektive Arbeit. 


Effektivität vor Effizienz

In zweiter Priorität ist Arbeit so zu organisieren, dass sie möglichst effizient erledigt wird, also mit einem guten Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis.   

Ein paar theoretische Grundlagen

Die theoretischen Grundlagen von Organisationsstrukturen füllen ganze Bibliotheken von Lehrbüchern. Das will ich hier natürlich nicht wiederholen.

Folgende Punkte sollten aber unstrittiges Allgemeingut sein:

  • Organisationsstrukturen sind dazu da, die Unternehmensaufgaben - nun ja: zu organisieren. Meine Lieblingsdefinition von organisieren lautet „zu einem lebensfähigen Ganzen zusammenfügen“.
  • Jede Organisation nutzt eine sinnvolle Arbeitsteilung. Danach beschäftigen sich Konstrukteure nur mit Konstruktionen, Maschinenführer führen Maschinen, Logistiker sorgen dafür, dass alles zur rechten Zeit am rechten Ort ist. 
  • Wächst eine Organisation, werden gleichartige Tätigkeiten in gleichartigen Teams organisiert (ein Team für die Konstrukteure, eines für die Maschinenführer, eines für die Logistiker, usw.).
  • Um sicherzustellen, dass die Teamergebnisse zu einem sinnvollen Ganzen zusammengefügt werden können (—> Unternehmensziel!), kann man dafür eine übergeordnete Organisationsschicht einziehen („Management“). 
  • Für immer gleiche Arbeitsabläufe werden Prozesse eingerichtet. 
  • Für wechselnde Anforderungen werden keine Prozesse genutzt, sondern intelligente Lösungen.
  • Administrative Tätigkeiten, die nicht unmittelbar dem Unternehmenszweck dienen, werden in einer „Verwaltung“ zusammengefasst oder ausgegliedert (z.B. Lohn- und Gehaltsabrechnung, Finanzbuchhaltung, Fuhrpark, Gebäudereinigung, etc.).
  • Übt diese Verwaltung eine eigene Macht aus, spricht man von „Bürokratie“ („Herrschaft der Verwaltung“). Kennzeichen von Bürokratie ist ein hohes Maß an Regeln. Bürokratie bringt immer Effektivität und Effizienz einer Organisation in Gefahr und muss daher aktiv gesteuert werden. Jeder Mitarbeiter sollte hier Kritik äußern dürfen - und sollte auch gehört werden.
  • Da kein Einzelner eine größer werdende Organisation inhaltlich beherrschen kann, arbeitet eine Organisation mit Hierarchien. Erste Berichte dazu findet man interessanter Weise schon im Alten Testament der Bibel: Kurz nach Israels Auszug aus Ägypten unterliegt Israel nicht mehr der Sklaverei und muss sich nun selbst organisieren. Mose versucht das allein zu regeln, endet dabei aber einer Überbelastung (das Wort „Burn-Out“ gab es damals im Hebräischen noch nicht). Moses Schwiegervater rät ihm, geeignete Leute auszusuchen und diese „als Oberste über tausend, über hundert, über fünfzig und über zehn“ zu setzen (2. Mose 18). Wahrscheinlich war diese Idee auch damals nicht neu, sondern stammte aus dem militärischen Bereich. Aber sie hat gut funktioniert.
  • Jede Stelle muss so ausgestaltet sein, dass sie ihre Aufgaben erledigen kann. Sie muss also über die notwendigen Arbeitsmittel, Kompetenzen und Informationen verfügen.

Agil oder nicht-agil - ist das hier die Frage?

Zwei gesellschaftliche Veränderungen rütteln seit Jahren an den Unternehmen:

  1. Die sich immer schneller verändernde Marktbedingungen. Eine Antwort darauf ist ein agiler Organisationsansatz.
  2. Ebenso rasant verändernde Anforderungen einer neuen Generation von jungen Leuten auf dem Arbeitsmarkt. Die Antwort darauf fällt vielen Unternehmen schwer. Die Reaktion darauf ist meist ein Klagen über irgendeinen Mangel (Fachkräfte, Azubi’s, etc.). Ich habe hier schon mal darüber geschrieben.

Das Dumme ist meist, dass viele Unternehmen den agilen Ansatz als allgemeine moderne Managementmethode missverstehen und darin die Lösung beider Probleme sehen. 

Bis heute funktioniert eine tayloristisch geprägte Organisationsform in einem statischen Umfeld (also meist in Bereichen industrieller Massenproduktion) sehr gut, denn sie ist extrem effizient. Aber leider auch extrem starr. Brauche ich die Flexibilität nicht, brauche ich auch keine agilen Methoden. 

Oft ist eine tayloristische Organisation aber mit dem tayloristischem Menschenbild verbunden. Beide sind sozusagen zusammen groß geworden und daher schwierig zu trennen. Dieses Menschenbild hat grob folgende Kennzeichen:

  1. Menschen werden als Produktionsfaktoren angesehen. Lieber würde man ja mit Maschinen arbeiten, aber die sind noch nicht soweit.
  2. Menschen arbeiten nicht von sich aus. Sie brauchen eine externe Motivation und diese wiederum braucht eine Kontrolle.
  3. Für Denken und Handeln sind unterschiedliche Personen zuständig. Arbeiter arbeiten, Manager denken. Mischformen kann es nicht geben, daher können sich Mitarbeiter auch nicht selbst organisieren.

Mit diesem tayloristischen Weltbild haben wir heute zwei Probleme:

  1. Der beschriebene Menschentyp existiert kaum noch (wenn er denn überhaupt jemals existiert hat).
  2. Es will kaum noch jemand in diesem Weltbild arbeiten. Weil wir es gerade auch mit unserer jungen Generation mit gut ausgebildeten Menschen zu tun haben, die zudem nicht mehr jeden Job annehmen müssen - wie es meine Baby-Boomer-Generation gelernt hat.

Will / muss aber ein Unternehmen in den Wettbewerb um die besten Mitarbeiter treten, muss es sich vom tayloristische Menschenbild lösen. Das sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben von Führung an. Ohne die Korrektur des Menschenbildes werden Unternehmen in Zukunft keinen besonderen Erfolg mehr erzielen können, einfach weil sie keine guten Mitarbeiter mehr finden! Und ehrlich: Sie verdienen auch keine guten Mitarbeiter!

Zurück zur Ausgangsfrage:
Nein. Agil oder nicht agil ist nicht die alleinige Frage. Beides hat seine Berechtigung.

  • Ist ihr Unternehmen noch nicht von hoher Veränderungsgeschwindigkeit und Komplexität betroffen und bedarf keiner Weiterentwicklung und Innovation, können sie weiterhin ihr Unternehmen nach tayloristischen Grundsätzen organisieren. Aber wenn sie sich auch in Zukunft gute Mitarbeiter verdienen wollen, müssen sie sich vom tayloristischem Menschenbild trennen!
  • Wollen / müssen sie ihr Unternehmen agil organisieren, weil sie auf eine hohe Veränderungsgeschwindigkeit des Marktes reagieren müssen, müssen sie zunächst ein zeitgemäßes Menschenbild „einführen“.  Agile Methoden und tayloristisches Menschenbild sind nicht kompatibel.

Halten Sie also ihr Unternehmen aktiv schlank und schlagkräftig. Behandeln sie Mitarbeiter so, dass sie sie auch verdienen - davon aber mehr in Teil 3.


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Frank Feldhaus

Über den Autor

Berater für Führung und Organisation.

Ärgert sich über alles was nicht funktioniert. Weiß aber, dass Perfektion schrecklich langweilig ist und dass wir Probleme brauchen, um daran zu wachsen. Ein ewiger Widerspruch...


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