Regeln: Pest oder Booster?

15. Sep 21

Wir Deutschen und unsere Regeln. Das scheint eine Liebesbeziehung zu sein. Jedenfalls werde ich damit öfter von einem Freund aus Tunesien aufgezogen. Der bewundert aber auch immer, dass Dinge in Deutschland funktionieren.

Aber manchmal nerven Regeln auch, weil wir es übertreiben. Während im alten Israel 10 Gebote ausreichten, um ein gesamtes Gemeinleben zu steuern, ist heute unsere DIN 5008, die lediglich das Aussehen von Geschäftsbriefen regelt, 126 Seiten lang. OK, mit Anwendungsbeispielen - aber allein dass man die braucht, sagt ja auch viel aus.

In unseren Unternehmen werden Regeln von manchen gehypt, da man damit Prozesse automatisieren kann. Niemand braucht mehr nachzudenken. Es reicht einfach, den Regeln zu folgen. Andere sehen darin das Ende der Eigenverantwortung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und das Risiko, dass man auf Veränderungen nicht mehr reagieren kann.

Aber was ist denn nun richtig? Sind Regeln die Pest, oder eher Booster? 


Ich gebe zu - eigentlich mag ich Regeln. Im Straßenverkehr finde ich es total praktisch, dass alle auf der rechten Straßenseite fahren und an roten Ampel halten. 

Im Unternehmenskontext gibt es ebenfalls Regeln, die dazu da sind, unsere Zusammenarbeit zu vereinheitlichen. Da alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlich sind und unterschiedlich empfinden, bieten Regeln einen einheitlichen Rahmen für die Zusammenarbeit. Sie regeln z.B. zu welchen Zeiten wir arbeiten oder wer welche Aufgaben hat. Und das ist natürlich genau so praktisch wie das Rechtsfahrgebot im Straßenverkehr, wenn alle Kolleginnen und Kollegen sich während der Kernarbeitszeiten an die Arbeit machen und nicht Nachts um 2:00 Uhr, weil sie Nachteulen sind. 

Soweit, so gut. Wie gesagt, diese Regeln mag ich.


Das Wesen von Regeln

Geregelte Prozesse führen grundsätzlich zu einem geringen Energieverbrauch, hohen Geschwindigkeit und Verlässlichkeit  - eben weil wir uns nicht jedesmal neue Lösungen ausdenken müssen, sondern einfach dein einmal festgelegten Weg beschreiten können. Das funktioniert aber nur, wenn man alle Regeln kennt. Also bei einem begrenztem Vorkommen.

Aber Regeln sind auch starr und lassen uns in einem „Automatikmodus“ laufen - wir denken also nicht mehr darüber nach, ob es sinnvoll und gut ist, dieser Regel zu folgen. 


Und das sind genau die beiden Prüfsteine für Regeln:

1. Es dürfen nicht zuviel sein, sonst stiften sie mehr Verwirrung als Sicherheit.

2. Sie müssen sinnvoll und gut sein - sie dürfen nicht vom Mittel zum Zweck werden.


Wie entstehen neue Regeln?

Ausgangspunkt für eine neue Regel ist meist ein aufgetretenes Problem. Für dieses wird eine Regel geschaffen, die die Wiederholung verhindern soll. Mietet also eine Mitarbeiterin für die Rückfahrt von einem geschäftlichen Termin eine Mercedes S-Klasse, obwohl für die Strecke und überhaupt ein VW Golf reichen würde, wird eine Regel geschaffen, die regelt, welche Mietwagen-Klasse dieser Mitarbeiterin zusteht. Wenn sie in einem größeren Konzern arbeiten, wissen Sie wahrscheinlich was ich meine...

Der Nutzen ist, dass die Mitarbeiterin das nächste Mal angemessene Kosten verursacht. Die Kosten der Regel ist aber: Sie darf nicht mehr selbst entscheiden, welche Mietwagenklasse sie bucht. Ihre Verantwortung ist durch die Regel ersetzt worden.


Merke: Regeln ersetzen Verantwortung


Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass jeder genau wissen könnte, wie er sich im Unternehmen zu verhalten hat. Ist doch toll, oder?

Naja, geht so. Mehrere Probleme tauchen jetzt auf:

Wer für jedes Problem eine Regel schafft, schafft automatisch VIELE Regeln. Sehr schnell kommt man dann an den Punkt, an dem niemand mehr alle Regeln kennen kann. Dafür schafft man dann eine Administration, die die Regeln verwaltet und kontrolliert. Diese Administration erfüllt keinen produktiven Unternehmenszweck, trägt also weder zur Wertschöpfung bei noch dient sie dem Kunden. Wenn diese Administration nun auch noch die Regeln selbst erstellen darf und damit die produktiven Prozesse im Unternehmen beeinflusst, nennt man das Bürokratie. Bürokratie ist, wenn administrative Tätigkeiten produktive steuern. 


Merke: Viele Regeln führen zu unproduktiver Bürokratie.


Jetzt fängt der Spaß aber erst an. Denn das Problem von Bürokratie ist nicht nur ihre Unproduktivität. Das Wesen von Bürokratie ist unaufhaltsames Wachstum. Denn Bürokratie strebt immer danach, sich selbst zu verwalten und zu überwachen. Das merken z.B. sie daran, wenn es in Ihrer Organisation Durchführungsbestimmungen für Regeln gibt. Dazu braucht man dann wieder mehr Ressourcen - unproduktive Ressourcen. Und die muss man dann auch wieder überwachen. Das größte Oxymoron (also ein nicht aufzulösender Widerspruch in sich) ist: Bürokratieabbau durch die Administration. Kann man gut bei Behörden sehen - insbesondere wenn für sie ein Gesetzt zum Abbau der Bürokratie erlassen wird. Das funktioniert NIE!


Merke: Bürokratie vermehrt sich von selbst und muss aktiv bekämpft werden.


Denn tut man das nicht, werden die produktiven Bereiche des Unternehmens mehr und mehr durch die Bürokratie gegängelt. Und gegängelt heißt: Immer weniger Zeit und Kraft steht dem produktiven Bereich zur Verfügung. Und die Regeln kippen und werden vom Mittel zum Zweck, zur Regelion. Und dann verhindert Bürokratie produktive Prozesse.


Erstes To-Do also: ersetze ein Mehr an Regeln durch ein Mehr an Selbstverantwortung.

Denn wir haben den langen Rattenschwanz gesehen, der vielen Regeln folgt: Bürokratie, die produktive Ressourcen frisst und kontrolliert werden muss. Spart man sich bei wenigen Regeln.

Unser erster Merksatz in diesem Zusammenhang war: Regel ersetzen Verantwortung. Statt einer neuen Regel für ein neues Problem können sie an die  Selbstverantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter appellieren. Und die gute Kernregel oder Prinzip lautet dann: "Handle im Sinnes des Unternehmens".

Je klarer übrigens eine Vision oder die gemeinsame Absicht und die Werte des Unternehmens geklärt und kommuniziert werden, desto besser können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sinne des Unternehmens handeln. Darum ist dies eine so wichtige Führungsaufgabe.

Bei unserem aufgetretenen Problem müssten Sie also die Mitarbeiterin fragen, warum sie eine S-Klasse gemietet und so vermeintlich gegen den Sinn des Unternehmens verstoßen hat. Dauert übrigens auch nicht länger, als einen Antrag auf Erstattung von Reisekosten begründet abzulehnen. 

In diesem Fall war das ganz einfach (ist übrigens wirklich mal so passiert): Die Mitarbeiterin hatte einen geschäftlichen Termin mit einem potentiellen Kunden. Sie ist morgens um 5 Uhr mit dem Zug 500 km zum Kunden gefahren und hat ihm im Lauf des Tages eine Maschine für einen zweistelligen Millionenbetrag verkauft. Plus dazugehörige Servicedienstleistungen. Danach noch ein kleines Abendessen zur Feier des Geschäfts. Als das gegen 23:30 Uhr zu Ende war, war sie echt müde und wollte einfach nur noch nach Hause. Zug? Der letzte war weg. Also Mietwagen. An der Mietwagen-Station nur noch ein paar Kleinwagen. Und eben die S-Klasse. Ausschlag pro S-Klasse war übrigens, dass die S-Klasse AppleCarplay hatte. Also einfach Smartphone einstecken, das kennt den Weg nach Hause. Und hat die richtige Playlist für eine entspannende Fahrt. Kein rumgefummelt mit fremden Navis und Bluetooth-Verbindungen. Dazu hatte sie echt keinen Nerv mehr. Sie wollte einfach nur schnell, entspannt und sicher die 500 km nach Hause abreißen. Bei einem solchen Einsatz ist eine S-Klasse einfach mal drin, fand sie. Finde ich übrigens auch. Sie auch?

Sie hat m.E. absolut im Sinne des Unternehmens gehandelt. 

Können sie sich vorstellen, was für eine Arbeit und Demotivation ein abgelehnter Reisekostenantrag ausgelöst hätte? Das wäre gleichzusetzen mit der Aussage: „Du darfst gerne einen Auftrag in zweistelliger Millionenhöhe abschießen, aber keine paar hundert Euro für die Rückfahrt einsetzen.“ Das ist dann kein Motivationsbooster...



Zweites To-Do: Regeln sinnvoll und gut erhalten

Um zu vermeiden, dass Regeln vom Mittel zum Zweck werden, müssen sie diese regelmäßig hinterfragen. Nehmen Sie dazu die Aktivität „Abbau von unsinnigen Regeln“ als ein regelmäßiges To-Do in geeignete Meetings oder Gremien. Und denken Sie vor Allem an Ihre Kunden. Mich lässt es immer verzweifeln, wenn auf Kundenwünsche nicht flexibel eingegangen werden kann, weil interne Regeln dies verhindern.

Jeder darf dann in diesem Meeting eine aus seiner Sicht blöde Regel mitbringen. Und sie beschließen gemeinsam, wie damit umzugehen ist. Aber tun sie eines nicht: Verlangen sie nicht von ihrer Administration den Bürokratieabbau. Das ist das eben genannte Oxymoron. Das wird nicht klappen. Keine Bürokratie der Welt schafft sich selbst ab. Das müssen die produktiven Bereiche im Unternehmen tun!


Also, kurz zusammengefaßt:

Erstens: Regeln ja (s. Rechtsfahrgebot), aber auch hier gilt: die Dosis macht das Gift. Statt einer neuen Regeln für ein Problem bauen sie auf Selbstverantwortung ihrer Leute. Lassen Sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Sinne des Unternehmens handeln. Die meisten wissen, was das bedeutet, glauben sie mir! Das hält ihr Unternehmen näher an seinem Zweck und näher am Kunden. Und lehrt ihre Leute verantwortungsvolles Denken - denn auch das muss geübt werden!

Zweitens: Regelmäßiges Hinterfragen von Regeln. Auch so fördern sie Selbstverantwortung und eine schlanke, flexible und kundenorientierte Organisation.

Wenn Sie also eine schlanke Organisation mit hoher Selbstverantwortung ihrer Leute brauchen, dann dürfen sie keine hohe Verregelung haben - denn diese beiden Dinge schließen sich gegenseitig aus!


Der Abbau von unsinnigen Regeln ist übrigens eines meiner Arbeitsgebiete. Wenn Sie also Unterstützung im Kampf gegen unsinniger Regeln brauchen - und sei es nur die Sicht eines Externen: Kontaktieren Sie mich! 

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Frank Feldhaus

Über den Autor

Berater für Führung und Organisation.

Ärgert sich über alles was nicht funktioniert. Weiß aber, dass Perfektion schrecklich langweilig ist und dass wir Probleme brauchen, um daran zu wachsen. Ein ewiger Widerspruch...


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