Meine erste These zu zukunftssicherer Führung war, dass Führung menschlicher werden muss. Weil wir heute in unseren Unternehmen den Menschen als Menschen brauchen, nicht mehr als Maschine. Daran schließt sich meine zweite These an: die Führungspositionen müssen zugänglicher werden.
Basis meiner These ist die Wahrnehmung vieler meiner Kunden, dass immer weniger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Führungsrolle anstreben. Ich halte das so nicht für richtig. Ich sehe viele junge Leute, die durchaus Lust haben, ein Team zu führen.
Aber genau hier liegt das Problem: Junge Leute haben Spaß daran, zusammen mit anderen Lösungen zu erarbeiten. Und in diesem Kontext wollen sie durchaus auch eine leitende Rolle einnehmen. Aber niemand hat Lust, sich den ganzen Rucksack, der gestern noch mit dem Thema „Führungskraft“ schwer gefüllt war, auf den Rücken zu schnallen.
Der schwere Rucksack "Führung"
Was war denn bisher so drin, in dem Rucksack „Führung“?
- Führung war bisher oft eine Monokultur. Es führten meist etwas ältere Männer. In ziemlich gleichem äußeren Ansehen, in ziemlich ähnlichem Verhalten, Reden und Denken. Der Glaubenssatz dahinter? Nur wer so ist wie ich, kann Chef sein. So war mein Chef schließlich auch schon. Weil man genau dieses Verhalten, Aussehen und Attitüde angesehen hat als „Führungskraft“. Das führt zu Anpassungsnotwendigkeit derer, die gerne Karriere machen wollen. Kluge mit einer gewissen Bullshit-Resilienz hat das immer abgeschreckt. Aber wie überall im Leben ist eine Monokultur nicht gut darin, auf Veränderungen zu reagieren, weil sie eine homogene und damit gleich denkende Masse darstellt. Und, das sagte schon Winston Churchill, „wenn zwei Menschen immer dasselbe denken, ist einer überflüssig“.
- „Strong-Man-Attitüde". Der Glaubenssatz dahinter: Ein Chef muss alles am besten wissen und können. Das führte nicht selten auch dazu, dass Chefs auch irgendwann tatsächlich glaubten, alles besser zu wissen und zu können und alle anderen tendenziell blöd sind. Und wenn ein Problem auftauchte, wurde zuerst der Schuldige zur Sau gemacht. Das hinterließ eine Atmosphäre der Angst - und in der entwickelt sich vieles, aber keine Kreativität und kein Mut für neue Lösungen - dabei ist es gerade das, was wir heute brauchen: Kreativität und Innovationen.
Folge war, dass diese Chefs in einer Blase der Problemlosigkeit gehalten wurden, weil natürlich niemand der „Blöde“ sein wollte, der dem Chef ein Problem erzählt und dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Und so war bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer das schwierigste an einem Problem, dieses so lange wie möglich vom Chef fernzuhalten. Und wenn es dann wirklich nicht mehr anders ging, dann war das Problem schon so groß, dass es durchaus Herzinfaktpotential für einen alten Chef hatte.
So wurde immens viel Kraft dafür verschwendet, Probleme vom Chef fernzuhalten, statt sie gemeinsam zu lösen.
Wahrscheinlich ist genau so der Diesel-Skandal bei VW entstanden.
Für die alten Chefs übrigens auch keine einfache Situation: Sie haben natürlich gemerkt, dass sie irgendwann nur noch von Ja-Sagern umgeben sind - alle anderen hat er ja schon weggebissen. Da ist wieder der Punkt „Monokultur“ von eben. Keiner, der mal mit neuen Ideen kommt. Alles müsse man selber machen.
Nur wurde hier Ursache und Wirkung verwechselt. - Distanziertes Verhalten. Der Glaubenssatz dahinter: Wer Chef ist, kann nicht Freund sein. Sonst kann man keine gerechten Entscheidungen treffen. Und so lebte der Chef auch durch diesen Glaubenssatz in einer Blase und hat seine Monokultur gefüttert. Eigener Tisch in der Kantine. Kein absichtsloses Schlendern durch den Betrieb mit dem einen oder anderen zweckfreiem Austausch. Kein Schnack in der Kaffeeküche. Wen der Chef einen sprechen wollte, hat er ihn in sein Büro zitiert. Und erst einmal 10 Minuten im Vorzimmer warten lassen. Den Chef darf auch niemand direkt ansprechen - wofür gibt es schließlich Hierarchien. Da könnte ja jeder kommen… Und wenn der Chef dann den Aufzug betritt, verstummen augenblicklich alle Gespräche!
Auch das war für alte Chefs durchaus belastend. Sie hatten selten jemanden, mit dem sie mal „auf Augenhöhe“ schwierige Entscheidungen durchsprechen konnten und sich sicher sein konnten, eine ehrliche Meinung zu erhalten. Weil ehrliche Meinungen nur in angstfreien Umgebungen existieren. Alte Chefs sind einsam! - Wer am längsten Arbeit, ist der beste: Der Glaubenssatz dahinter: Ein Chef muss immer da sein. Alte Chefs hatten kein wirkliches Privatleben. Ihr Leben gehörte der Firma.
Vielen Chefs macht Arbeit Spaß. Aber eben auch, weil sie sonst keine weiteren Lebensinhalte haben. Ich kenne viele alte Chefs, die das wohl akzeptierten. Aber auch wußten, dass das ein extrem hoher Preis war. Spätestens wenn die Kinder größer wurden und sich nicht mehr in die Rolle eines Untergebenen zwängen ließen. Aber so ging „Chef“ eben. Da schwingt auch immer noch die Input-Orientierung der Industrialisierung mit, statt die Ergebnisorientierung der Dienstleistungsgesellschaft. - Statussymbole wie großes Büro mit Sekretärin auf der Teppichetage, großer Firmenwagen mit eigenem Parkplatz usw. Glaubenssatz: Haste was, biste was. Soll schließlich jeder sehen können, dass ich diesen Rucksack „Führung“ trage. Bei all den Nachteilen (s. oben) muss doch auch ein Vorteil dabei sein.
Diesen schweren Rucksack will sich heute keiner mehr auf den Rücken schnallen. Das ist auch gut so, denn so ein schwerer Rucksack verhindert Beweglichkeit. Und die braucht man als Führungskraft heute. Aber was ist die Alternative? Wie müssten Führungsjobs heute aussehen, so dass sie effektiv und gleichzeitig begehrenswert sind?
Geht's auch etwas leichter?
Was müssen wir anders an „Führung“ gestalten, um sie für junge Menschen interessant zu machen? Gehen wir die einzelnen Punkte noch mal durch:
- Weg von der Monokultur in Chefetagen. Eine Vielfalt an Herausforderungen, die auf unsere Unternehmen einbrechen, braucht eine Vielfalt von Cheftypen. Nur mit unterschiedlichen Denkweisen kann man komplexen Problemen begegnen. Also: Jung UND alt, Männer UND Frauen, Introvertierte UND Extrovertierte, sachorientierte UND beziehungsorientierte und bitte nicht immer nur Deutsche! Eine gute Mischung macht eine gute Führung.
Das ist ehrlich gesagt oft viel anstrengender als wenn man nur gleichartige Menschen um sich hat. Aber es ist absolut faszinierend, welche Lösungsaspekte in einer solch bunten Mischung erarbeitet werden. Und das macht ist dann wiederum sehr erfolgreich und mach auch noch einen unbändigen Spaß! - Weg von der „Strong-Man“-Attitüde. Wir müssen heute zusammen mit vielen Fachleuten intelligente Lösungen entwickeln. In einer angstfreien Umgebung. Weil nur so Kreativität gelebt werden kann. Eine zur Schau gestellte Autorität wirkt da einfach kontraproduktiv.
Zumal heute jeder weiß, dass man als Alleinherrscher nicht alles wissen und können kann. Unsere Wirtschaftswelt ist dafür zu komplex. Jeder Chef muss in seinem Team Leute haben, die auf ihrem Arbeitsgebiet besser sind als der Chef. Wenn nicht, hat der Chef eindeutig die falschen eingestellt. Und auf Menschen, die auf ihrem Gebiet besser sind als man selbst, sollte man auch besser hören.
Alles andere wird nicht mehr funktionieren! Dafür ist unsere Umwelt einfach zu schnell und komplex geworden.
Und seien wir ehrlich - das hat schon vor 50 Jahren nicht funktioniert. Selbst viele der alten „Wirtschaftswunder-Kapitäne“ sind genau an diesem Punkt gescheitert. Mir als Bremer fällt dabei immer Borgward ein, der wohl ein guter Konstrukteur war, aber eben auch ein schlechter Kaufmann war und dazu extrem beratungsresistent - weil Alleinherrscher. Das ging schon damals nicht gut, obwohl die Zeit noch recht übersichtlich war.
Also: hat gestern nicht geklappt, klappt heute erst Recht nicht: hören wir auf mit dem Quatsch! - Weg von der Distanz von Chefs. Menschen führt man über Beziehungen, nicht über Hierarchien. Menschliche Führung basiert auf Beziehungen, Vertrauen und Nähe. Mit Distanz kann ich Maschinen managen, nicht aber Menschen führen.
- Weg von der Input-Orientierung wie z.B. lange Arbeitszeiten!
Ich behaupte: Input-Orientierung schadet dem Unternehmen. Workaholics zum Beispiel. 1. Weil sie keine Effizienz anstreben, sondern lieber mal eine Stunde an den normalen Arbeitstag dranhängen. 2. Weil sie sehr eindimensionale Menschen sind, damit eine eingeschränkte Wahrnehmung haben und damit auch nur eingeschränkten Lösungsraum zur Verfügung haben. Und 3. weil man ab einer bestimmten Uhrzeit einfach nicht mehr vernünftige Entscheidungen treffen kann!
Sie erinnern sich an den leider berühmt gewordenen Corona-Gipfel im März 2021 im Bundeskanzleramt? Da sollte das weitere Vorgehen in der potentiell tödlichen Corona-Pandemie besprochen werden - also schon der wichtigste Termin der Woche. Der wurde dann um 18:00 Uhr gestartet, nachdem jeder bereits einen kompletten Arbeitstag und Anfahrt nach Berlin hinter sich hatte. Erste Ergebnisse wurden um 02:30 Uhr in der Nacht präsentiert. Da ist dann ja auch nichts vernünftiges bei rausgekommen, außer einer unspezifischen „Feiertagsruhe“, bei der niemand - auch nicht die Teilnehmer - wußte, was das eigentlich sei. Wichtige Termine gehören in eine Zeit, in der alle Teilnehmer in Vollbesitz ihrer Kräfte sind. Auf so einen Blödsinn können nur Workaholics kommen, aber niemand, der auf Effektivität bedacht ist.
Nein, statt langer Arbeitszeiten wollen junge Leute heute noch was vom Leben außerhalb der Firma haben. Anmaßend, oder? Die Kinder zum Kindergarten bringen, bei schönem Wetter mal früher Schluss machen um zum Badesee oder in den Biergarten zu fahren. Nein, nicht anmaßend, Leben ist mehr als Arbeit. Dann lieber noch mal abends zuhause Mails checken oder die Kollegen in Fernost kontaktieren. Und wie gesagt: lange Arbeitszeiten garantieren keine guten Ergebnisse.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass gerade Halbtagskräfte die effektivsten Arbeiter sind. Weil sie wissen, dass ihnen nur eine begrenzte zeit zur Verfügung steht und in diesen Zeitrahmen das wichtigste reinpassen muss. Die verschwenden keine Zeit. Dafür gibts sogar ein eigenes „Gesetz“ im Zeitmanagement: Das Parkinsonsche Gesetzt sagt: Arbeit dehnt sich in dem Maße aus, wie Zeit dafür zur Verfügung steht. Begrenzung ist oft ein wesentlicher Treiber für Effizienz!
Es gibt einfach kein Argument, warum Chefs an normalen Tagen nicht auch um 17:00 Uhr gehen können. Oder sich zu zweit eine Stelle teilen können. Oder projektbezogen wechselnd eine Führungsaufgabe wahrnehmen. Dann könnte man „Führung“ mal ausprobieren, ohne gleich auf ewig verhaftet zu sein. Dann wären unsere Führungsrollen auch für junge Frauen zugänglich, die ja einfach aus biologischen Gründen die Hauptlast der Kinderaufzucht tragen müssen. Oder auch für junge Väter, die ihre Vaterrolle ernst nehmen. Welch eine Bereicherung wäre es, mehr unterschiedliche Menschen in Führungspositionen zu haben!
Muss es wirklich immer so sein wie bei Rubin Ritter, einem der Zalando-CEO’s, der seinen Job aufgibt, weil er seiner Frau ebenfalls ein berufliches Weiterkommen ermöglichen möchte?
Rund um den Globus machen es Unternehmen vor, dass es anders sehr wohl funktionieren kann. Es gibt unendlich viele Beispiele erfolgreicher Unternehmer, die nur teilzeitig in ihren Unternehmen arbeiten. Die haben allerdings alle eines gemeinsam: Die sind Unternehmer geworden, um Freiheit zu erlangen, nicht um 16 Stunden am Tag zu arbeiten. Und mit diesem Mindset ist auf einmal teilzeitige Führung möglich.
Was können wir daraus lernen: Mindset bestimmt den Lösungsraum. Stellen wir Leute für Führungspositionen ein, die noch andere wichtige Dinge zu tun haben (und sich auch so verhalten): Familie, Ehrenamt, interessante aber schlecht bezahlte Nebenjobs z.B. als Autor oder Musiker. Und nicht die, die Spaß daran haben oder Befriedigung daraus ziehen, 16 Stunden am Tag zu arbeiten. Das ist nämlich eher ein Zeichen schlechten Selbstmanagements oder eines sehr eindimensionalen und damit anfälligen Lebens.
- Statussymbole ziehen meines Erachtens aber immer noch. Sie verändern sich nur. Statt Audi A6 wird lieber Tesla gefahren. Und zumindest in der Stadt bevorzugt man ein schickes E-Bike. Das Chef-Büro interessiert keinen mehr, das widerspricht dem Wunsch nach Kollaboration. Und eine Sekretärin ist eher eine Team-Assistenz geworden, die Events organisiert und z.B. Teams an Termine erinnert. Kaum einer braucht noch eine „Schreibkraft“ - Emails schreibt heute jeder selbst. Und die Teamkommunikation erfolgt meist über Kollaborationstools wie Asana, Slack oder MS Teams - das kann man nicht delegieren.
Nochmal kurz zusammengefasst:
Führung muss zugänglicher werden, damit wir auch morgen diese Positionen mit unterschiedlichen tollen Mitarbeiter besetzen können und damit die Zukunft unserer Unternehmen sichern können. Das heißt:
- Weg von der Monokultur gleichgeschalteter Cheftypen hin zu Vielfalt auf Chefetagen
- Weg von der „Strong-Man-Attitüde" hin zu teamorientiertem Arbeiten.
- Weg von der „wenn ich Führungskraft bin, habe ich mein Leben an die Firma verkauft“-Gleichung. Es gibt kein Argument dafür, dass Chefs an normalen Tagen länger arbeiten müssen als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und man kann auch Führungspositionen teilen. Damit wird es möglich, dass nicht nur Workaholics und Selbstausbeuter auf den Chefsesseln kleben, sondern dass Führung viel diverser aussehen kann - eine Wohltat für das ganze Unternehmen!
- Weg von alten Statussymbolen. Die Zeiten ändern sich und mit ihr auch die Menschen. Gott sei Dank!
Und schon ist der Rucksack „Führung“ leichter geworden. Den kann man tragen. Und man ist dennoch beweglich damit. Gute Lösung!
Wenn wir es schaffen, unsere Führungsjobs so zugänglich zu machen, können wir unsere Chefpositionen auch morgen mit kompetenten Persönlichkeiten besetzen. Von denen sich die anderen übrigens auch viel lieber führen lassen als von den alten Cheftypen. Was unseren Unternehmen unendlich gut täte und ihre Zukunft sichern würde! Denken Sie mal drüber nach! Und wenn Sie Anregungen haben: hinterlassen Sie gerne einen kritischen aber freundlichen Kommentar!