Das heutige Thema ist eigentlich ein sehr altes. Aber durch immer schnellere Marktentwicklungen mit disruptiven Elementen ist es aktueller denn je.
Tödliche Routinen und alte Antworten
Jede erfolgreiche Organisation verfällt leicht in einen Routine-Modus. Routinen entstehen durch Lernprozesse. Wir üben ein bestimmtes Verhalten oder Prozess ein und finden die beste Art der Ausführung. Das machen wir dann immer wieder und so entsteht eine Routine, also ein Verhalten, das quasi in einem Automatik-Modus abläuft.
Routinen haben viele Vorteile. Wir müssen nicht bei jedem Prozess-Schritt das Rad neu erfinden oder uns fragen, welcher Schritt als nächstes kommt. Wir tun einfach immer wieder das, was sich einmal als beste Lösung herausgestellt hat. Ein sehr effiziente Art der Arbeit.
Routinen geben Prozessen auch eine hohe Robustheit, weil sie, einmal eingeübt, kaum noch aufzuhalten sind.
Routinen haben aber auch so ihre Nachteile.
Es gibt einerseits schlechte Routinen (versuchen Sie mal, in Bremen einen neuen Personalausweis zu bekommen…). Das ist in gesunden Organisationen aber eher selten.
Andererseits tragen auch gute Routinen ein hohes Maß an Trägheit in sich. Man merkt nicht so schnell, dass die Routine einfach nicht mehr gut genug ist oder gar einem völlig falschen Ziel dient. Hier wird eine Routine sogar gefährlich. Und Unternehmen sind immer dort am angreifbarsten, wo sie richtig gut sind, weil sie hier ihre Routinen haben. Und wenn langjährig erfolgreiche Routinen verändert werden sollen, kommen die Denkverbote ins Spiel („das haben wir immer so gemacht“).
Ein Blick in die Industriegeschichte zeigt uns, wie erschreckend das ablaufen kann:
VW und der Hang zu alten Lösungen
Als VW Ende der 1960-er Jahre über einen Nachfolger für den Käfer nachdenken musste, war eigentlich längst klar, wohin die Entwicklung von kleineren Autos hingehen würde: Frontantrieb mit Quermotor und Wasserkühlung waren Kennzeichen moderner Autokonstruktionen. VW aber dachte auch bei den Käfer-Nachfolgern immer nur an Heckmotor. Beim fast-Käfer-Nachfolger EA266 wanderte der Motor tätsächlich nur vor die Hinterachse, nicht aber nach vorne - das war für VW ein zu weiter Weg. Der EA266 war zudem eine viel zu aufwendige Konstruktion, die nur zum Preis eines Audi 100 hätte gewinnbringend verkauft werden konnte. Und er brachte für den Käufer enorme Nachteile mit sich (Fahrverhalten, Zugang zum Motor für die Wartung, Lärm und Wärme des Motors unter der hinteren Sitzbank). Der sichere Tod von VW also. Viele bei VW wußten das, aber kaum jemand traute sich, dieses Projekt zu kritisieren. Denn als VW diesen EA266 endlich zur Serienreife entwickelt hatte, brach der Gewinn 1971 um 94% ein. Man brauchte also sehr dringend ein neues Produkt. Und in dieser Krisensituation war „Querdenken“ keine gern gesehene Disziplin. Hier hat man nur abgerufen, was in der Vergangenheit erfolgreich war und wollte mit alten Denkweisen neue Probleme lösen. Die gefundene Lösung zu hinterfragen wurde mit Denkverboten belegt, die für die Mitarbeiter den Rausschmiss bedeuteten. Aber Denkverbote waren noch nie die Heilsbringer.
Erst der zweite VW-Chef nach dem Käfer-Mann Nordhoff (Rudolf Leiding) stoppte 1971 10 Tage nach seinem ersten Arbeitstag dieses Chaos.
Dabei lag die Lösung so nah: Die Lösung, die Leiding nutzte in Form von Passat, Golf und Polo kam von Audi/NSU, die zum VW-Konzern gehörten und bereits fertige, moderne Konstruktionen hatten (Audi 100 und NSU RO 80, sogar ein von NSU übernommener VK K70). Aber das waren ja keine Lösungen mit VW-DNA...
Wäre nicht ein mutiger Vorstand gewesen, VW würde es wohl heute nicht mehr geben. Trotz all der Ingenieure und sonstiger schlauer Köpfe.
Nokia in der Angststarre
Anfang der 2000-er Jahre war ich stolzer Besitzer meines ersten “Smartphones”, eines Nokia Communicator 9300i. Heute staunen meine Söhne über diesen Klotz, aber früher war es mein „Büro in der Hosentasche“. OK, es passte nicht wirklich in die Hosentasche, aber ich hatte darauf alles, was ich bislang über andere Produkte verstreut hatte: einen Kalender (bis dahin hatte ich ein riesiges und schweres Zeitplanbuch), eine Kontaktverwaltung (bisher auch im Zeitplanbuch), ich konnte FAXE UND EMAILS VERSCHICKEN und ins INTERNET gehen! Von unterwegs!! Gut, quälend langsam, aber das war damals normal. Und es war extrem kompliziert einzurichten. Aber es ging irgendwie.
Als ich dann 2007 das erste iPhone in den Händen hatte, war ich völlig fasziniert, wie einfach Bedienung sein kann. Das Ding konnte alles was ich brauchte und man konnte es ohne Bedienungsanleitung intuitiv verstehen. Nur als Telefon eine echte Nullnummer. Darum habe ich das iPhone nicht gekauft, sondern auf ein Konkurrenzprodukt von Nokia gewartet - ich dachte, die können wenigstens „Telefon“. Tja, die Geschichte ist bekannt, Nokia hatte zwar irgendwann Produkte „mit Touch“, aber es blieb immer beim eigenen Symbian Betriebssystem, das von der Vergangenheit geprägt unglaublich kompliziert, hakelig einzurichten und zu bedienen war. Mehrere Jahre hat Nokia vermeldet, man arbeite an einer neuen Version des Betriebssystems. Aber sie haben es nicht rechtzeitig hinbekommen. Nokia scheiterte an SOFTWARE! So eine große Firma mit so unglaublich viel Entwicklerpotential hat es nicht hingekriegt. Die konnten nur kompliziert, nicht aber einfach!
Nokias Umsätze brachen ein, es entstand ein Krisendenken. Und nun kopiere ich einfach einen Satz aus der VW-Geschichte von oben: Und in dieser Krisensituation war „Querdenken“ keine gern gesehene Disziplin. Hier hat man nur abgerufen, was in der Vergangenheit erfolgreich war und wollte mit alten Denkweisen neue Probleme lösen. Die gefundene Lösung zu hinterfragen wurde mit Denkverboten belegt, die für die Mitarbeiter den Rausschmiss bedeuteten. Aber Denkverbote waren noch nie die Heilsbringer.
Google, die einfach mit „Android“ die richtige Firma gekauft haben, hatte 2008 die erste verkaufsfähige Version ihres Smartphone-Betriebssystems. Warum konnte das Google, nicht aber Nokia? Wegen der Denkverbote!
2009 hatte ich dann genug vom Warten und habe mein erstes iPhone gekauft. Und Nokia gibt es auch nicht mehr wirklich.
Die Fotoindustrie mit tollen Produkten, aber falschen Antworten
Die Fotoindustrie hat 2010 ca. 110 Mio. Kompaktkameras abgesetzt. Die Digitalisierung hat für einen echten Aufschwung gesorgt, alle wollten Digitalkameras. Aber dann kamen die Smartphones, deren Fotofunktionen immer besser wurden. Die Verkaufszahlen der Kompaktkameras brachen ein. Warum nutzten die Leute lieber Smartphones statt Kompaktkameras? Eigentlich waren die Kompaktkameras technisch besser, aber eben komplizierter zu bedienen. Zudem hatte man die Smartphones immer dabei und konnte die Fotos viel schneller teilen. Fotografieren mit dem Smartphone hat einfach mehr Spaß gemacht. Und wie reagierte die Foto-Industrie? Mit veraltetem Denken: Sie machten die Kompaktkameras technisch immer besser. Fachzeitschriften applaudierten mit tollen Testergebnissen. Aber den Kunden war das egal - sie suchten ja ganz andere Dinge. Und bekamen diese bei den Smartphones. Die Verkaufszahlen von Kompaktkameras fielen steil nach unten:
Und hier - richtig, kopiere ich meinen Satz aus der VW-Geschichte und der Nokia-Geschichte: Und in dieser Krisensituation war „Querdenken“ keine gern gesehene Disziplin. Hier hat man nur abgerufen, was in der Vergangenheit erfolgreich war und wollte mit alten Denkweisen neue Probleme lösen. Die gefundene Lösung zu hinterfragen wurde mit Denkverboten belegt, die für die Mitarbeiter den Rausschmiss bedeuteten. Aber Denkverbote waren noch nie die Heilsbringer.
2016 wurden übrigens noch ca. 13 Mio. Fotokameras abgesetzt, davon ca 9 Mio. Kompaktkameras.
Und heute?
Heute sehen wir wieder viele spannende Unternehmensgeschichten, bei denen wir noch nicht wissen, wie sie ausgehen. Zum Beispiel wieder in der Autoindustrie:
Tesla hat sein Model S 2012 gestartet. Und immer noch hat die deutsche Autoindustrie kein ernst zu nehmendes, massentaugliches Produkt mit elektrischem Antrieb. Können sie es wirklich nicht? Sie versuchen wieder neue Fragen mit alten Lösungen zu beantworten und heraus kommen fette SUV’s mit Elektroantrieb statt Verbrenner. Die Zukunft habe ich mir irgendwie anders vorgestellt.
Selbst eine kleine Firma wie Streetscooter hat es den Großen vorgemacht, und einfach einen kleinen, einfachen elektrischen Lieferwagen erfolgreich an den Markt gebracht.
Kann die deutsche Autoindustrie wirklich umdenken? Ich hoffe es wirklich!
Tipps:
- Hinterfragen Sie regelmäßig ihre Routinen: Sind sie noch der beste Weg, oder stehen sie dem Erfolg im Weg? Hilfreich dabei übrigens Planspiele wie „Kill Your Company“ - das erkläre ich in einem späteren Artikel.
- Verfallen Sie niemals in Denkverbote. Suchen Sie die Lösungen nicht in ihrer Vergangenheit, sondern lieber bei Ihrem Wettbewerb oder gar in ganz anderen Branchen (Nokia kam leider gar nicht auf die Idee, auf Google zu schauen, weil das ja nur die Betreiber einer Internet-Suchmaschine waren…).
- Tauschen Sie sich regelmäßig aus mit Führungskräften aus ganz anderen Branchen aus und rekrutieren Sie neue Mitarbeiter ebenfalls aus ganz anderen Branchen. So kuschelig der eigene Stallgeruch ist - er kann auch tödlich enden!
(1) Charles01 [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]