5 falsche Glaubenssätze zur Produktivität

05. Mai 15

Mir begegnen immer wieder Themen, die als feste Glaubenssätze in den Köpfen der Menschen verankert sind – aber leider falsch. Hier ein Versuch, diese Glaubenssätze aus ihrem Denken zu löschen.

1. Wer länger arbeitet, schafft auch mehr

In Input-orientierten Unternehmen ist dieser Glaubenssatz absolut gesetzt: wer 10 Stunden anwesend ist, schafft mehr als der, der 8 Stunden anwesend ist. Klingt eigentlich logisch. Bei Maschinen ist das auch so. Aber wir Menschen sind keine Maschinen. Heute ist klar, dass wir uns nur maximal 90 Minuten am Stück konzentrieren können. Danach geht die Konzentration rapide in den Keller und wir schaffen deutlich weniger als normal. Fehler schleichen sich ein, die Qualität leidet, auf Dauer kann sich eine permanente Überbelastung einstellen, die dann am nächsten Arbeitstag nicht verschwunden ist.
Natürlich gibt es Zeiten, die Überstunden notwendig machen, aber als Dauerzustand sind sie schädlich.

Wird das Prinzip „gute Mitarbeiter arbeiten lange“ gelebt, gibt es keinen Grund für Effizienz. Man muss eh‘ lange bleiben, also kein Grund zur Eile. Sonst gilt man nicht als wichtig. Meetings werden nicht konsequent kurz gehalten, niemand schreit auf, wenn das Controlling eine genaue Erfassung der Tätigkeiten auf 123 Tätigkeitsschlüssel haben möchte. Und wenn ein Kollege seine Arbeitsergebnisse in einer 50-Seiten-Präsentation vorstellt, stöhnt niemand auf.

Hat man nur 8 Stunden Zeit, dann wird niemand ein Meeting über mehrere Stunden einplanen. Weil danach keine Zeit bleibt, um die Arbeit zu erledigen. 50 Seiten Präsentation? Geht das nicht auf 5? 123 Tätigkeitsschlüssel? Chef, wenn ich das mache, habe ich keine Zeit für den Kunden, geht das nicht auch mit 10 Tätigkeitsschlüsseln?

Die Begrenzung von Arbeitszeit führt zu besserer Effizienz, die beliebige Ausdehnung von Arbeitszeit führt nur zu Verschwendung.

2. Wir sind nur im Büro produktiv

Unsere Produktivität wird von vielen Faktoren bestimmt. Meist hängt sie eng mit unserer Konzentrationsfähigkeit zusammen. Und unsere Konzentrationsfähigkeit wird beeinflusst von dem Maß unserer Ablenkung.

Unser Gehirn wird mit ca. 400.000 Sinnenreizen pro Sekunde beschossen. Parallel kann unser Gehirn diese Sinnesreize sogar noch filtern nach solchen, die uns bei unserer Aufgabe helfen und solchen, die uns ablenken. Wir können z.B. im Großraumbüro die Gespräche an der Nachbartischgruppe „überhören“, die permanent durch den Gang gehenden Kollegen „übersehen“. Aber das ist für unser Gehirn Schwerstarbeit. Das ist auch der Grund dafür, dass ein Großraumbüro der denkbar schlechteste Ort für konzentriertes Arbeiten ist.

Besser ist es, wenn wir einen Ort aufsuchen, bei dem wir nicht so stark abgelenkt werden und an dem wir uns wohlfühlen (auch das „nicht wohlfühlen“ ist eine Ablenkung, die unser Gehirn filtern muss).

Also: Wenn Sie in Ruhe arbeiten müssen, gehen sie an einen Ort an dem sie das können – ihr Büro zählt nicht immer dazu. Einige Unternehmen haben Ruheinseln eingerichtet, aber viele Unternehmen gehen immer noch davon aus, dass Menschen sich wie Maschinen verhalten (müssen). Suchen sie sich dann einen unbenutzten Besprechungsraum, ein unbenutztes Büro oder setzen sie sich außerhalb der Pausenzeiten in die leere Kantine. Und wenn sie keine ruhige Ecke finden, dann gehen sie in ihr Lieblingskaffee. Und erlauben sie ihren Mitarbeitern, das gleiche zu tun. Denken sie daran: es geht nicht um die Anwesenheitspflicht, sondern um die erbrachten Ergebnisse.

3. Ohne aufgeräumten Schreibtisch können wir nicht produktiv sein

Über dieses Thema kann man richtig gut streiten. Auf der einen Seite stehen die Ordnungsfanatiker, die in einen unaufgeräumten Schreibtisch als Keimzelle alles Bösen sehen. Auf der anderen Seite die „Künstler“, die ihre persönliche Freiheit und Kreativität durch einen ordentlichen Schreibtisch gefährdet sehen.
Fakt ist: es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die beide Seiten stützen, zum Beispiel hier und hier. Blöd. Da soll sich noch einer auskennen.

Aber wie so oft: Vertrauen sie nicht sofort einer wissenschaftlichen Untersuchung, sondern denken sie selbst nach. Folgendes ist zum Beispiel auffällig: Die Gleichung „aufgeräumter Schreibtisch = produktiv“ wird immer nur von Menschen vertreten, die selbst sehr ordentlich sind. Und der „chaotische Schreibtisch als Quelle der Kreativität“ immer von Menschen, die in der anderen Lebenshälfte von „Ordnung ist das halbe Leben“ leben. Für mich wird so ein Thema erst dann glaubhaft vertreten, wenn ein Chaot einen ordentlichen Schreibtisch vertreten würde. Das kommt aber nicht vor. Wie so oft werden hier eigene Lebenseinstellungen zu Glaubenssätzen, die man anderen vorschreibt. Das kommt vor, in dieser Gefahr stehen wir alle. Aber wir sollten es durchschauen.

Fakt ist:
Dort, wo Teamarbeit gefordert ist, ist ein aufgeräumtes und geordnetes Arbeitsumfeld zwingend erforderlich. Denn jede Suche ist Verschwendung. Jede Kundenanfrage, die ich gerade nicht beantworten kann, weil ich nicht weiß, wo die Kollegin die Unterlagen hat, ist „maximal peinlich“ und hinterlasst beim Kunden zurecht einen extrem unprofessionellen Eindruck.

Aber dort, wo Arbeit beispielsweise in Stabsstellen getan wird, sollte jeder so arbeiten, wie es ihm persönlich am besten passt. Ich kenne Mitarbeiter, die extrem fokussiert sind, bei denen sich ihr ganzes Denken um die eine aktuelle Aufgabe dreht. Die haben einen chaotischen Schreibtisch, weil alles, was nicht zur aktuellen Aufgabe gehört, irgendwo hingelegt wird – völlig egal wo, weil es derzeit eben völlig egal ist. Diese Menschen sind oft extrem produktiv, obwohl sie einen unaufgeräumten Schreibtisch haben. Oder vielleicht sogar weil sie einen unaufgeräumten Schreibtisch haben.

Ein aufgeräumter Schreibtisch ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug. Manche Menschen brauchen dieses Werkzeug, andere haben andere Werkzeuge. Machen sie kein Dogma draus – außer in gemeinsam genutzten Arbeitsbereichen.

Denn letztendlich kommt es auf das Ergebnis an.

4. Inbox-Zero – nur leere Email-Eingänge sind gute Email-Eingänge

Diese Produktivitätsmethode sieht vor, dass man maximal 3 mal am Tag seine Emails abrufen soll und dann alle Emails im Eingang entweder sofort erledigt oder weiterleitet oder mit einem Termin versehen in einen Ordner seines Email-Programms verschiebt. Ziel ist jedenfalls am Ende eines jeden Abrufvorgangs ein leerer Eingangsordner.

Hintergrund dieser Methode ist ein Belohnungsgefühl, dass viele Menschen verspüren, wenn sie den Emaileingang leer haben. Es gibt das gute Gefühl, man habe die Arbeit getan.

Leider kenne ich viele Menschen, bei denen das überhaupt nicht funktioniert. Ich zähle dazu.

Bis zu dem Satz „nur dreimal am Tag Emails abrufen“ gehe ich noch mit. Aber nur, weil das FÜR MICH sinnvoll ist. Versuchen sie das mal, wenn sie im First-Level-Support für Software arbeiten. Oder im Kundenservice. Oder im Verkauf. Oder…
Allein diese Methode „nur dreimal Emails abrufen“ kann nicht für alle funktionieren.

Der Rest der Inbox-Zero-Methode funktioniert bei mir allerdings nicht. Weil ich meine Emails überhaupt nicht in Ordner ablege (bis auf wenige Ausnahmen wie rechtlich relevante Emails). Wichtige Emails beantworte ich sofort und lösche sie dann. Ich habe die Ursprungsmail ja im Email-Verlauf in meiner Antwort. Emails, deren Erledigung etwas mehr Zeit oder Nachdenken benötigen, markiere ich. Emails mit Informationen, die für mich derzeit nicht interessant sind oder die ich später lesen möchte, lasse ich im Eingangsordner stehen. Und einmal in der Woche lösche ich alle Emails im Eingangsordner, die älter als 4 Wochen sind. Informationen, die ich bis dahin nicht gebraucht habe, werde ich auch in Zukunft nicht brauchen. Und wenn, kann ich sie mir ja noch mal zuschicken lassen. Zusätzlich sind alle meine Email-Konten so eingestellt, dass Emails im Papierkorb erst nach 4 weiteren Wochen komplett gelöscht werden. Ein kleines Sicherheitspolster…

Email-Ordner sind Relikte aus einer Zeit, in der man noch nicht vernünftig am PC nach Informationen suchen konnte. Seit Jahren funktioniert das sehr gut (jedenfalls auf einem Mac), daher gibt es keinen Grund, seine Zeit damit zu verschwenden, Emails oder auch Dateien mehr oder weniger sinnvoll in Ordner zu verschieben. Es ist nicht mehr relevant.

Aber dennoch beruhigt es manche Menschen. Wenn sie dazu gehören, machen sie weiter so. Wenn nicht: Kümmern sie sich wie bisher lieber um wichtige Dinge!

Wie bei allen Produktivitäts-Tools: Entspannen Sie sich und adaptieren sie das Tool so, dass es zu ihrer Arbeitweise passt. Und wenn es gar nicht passt: lassen sie es.

5. Der frühe Vogel fängt den Wurm

Dieses Thema ist ähnlich dogmatisch besetzt wie das „leerer-Schreibtisch-gleich-produktiv“-Thema.
Kaum haben wir die Zeitumstellung mit einer Stunde Schlafverlust verdaut, da liest man an einigen Stellen im Internet über Manager, die extrem früh aufstehen, damit sie ihren Job vollumfänglich geregelt bekommen, z.B. hier.

Auch Thomas Mangold hat gerade ein sehr gutes Buch zum Thema „Gewohnheiten einüben“ veröffentlicht, dass ich wirklich empfehlen kann. Aber sein erstes Beispiel, an dem seine Leser üben sollen, ist das frühe Aufstehen. Auch Thomas Mangold sieht darin die Möglichkeit, wichtige Aufgaben bereits ungestört vor dem eigentlichen Arbeitstag zu erledigen. Die Idee finde ich gut. So könnte man die wichtigen Dinge bereits früh morgens erledigen, bevor die dringenden lautstark aus dem Gebüsch springen. Mein Problem dabei: Ich bin – zumindest im Winter – absolut kein Frühaufsteher. Muss ich denn einer werden, um produktiv zu sein? Offensichtlich.

Aber halt. Erst mal selbst nachdenken.
Es geht doch darum, dass man sich eine ungestörte Zeit am Tag verschafft für die wichtigen Dinge im Leben, die Dinge, die uns unseren eigenen Zielen näher bringen. Damit sie nicht im dringenden Alltagsgeschäft untergehen.
Ist es da nicht egal, wann ich sie erledige?

Bezüglich der Fähigkeit, früh aufzustehen, teilt man die Menschen ja in Eulen und Nachtigallen ein. Merkwürdig, eigentlich sind doch beide nachtaktiv. Bei Shakespeare waren es doch noch Lerche und Nachtigall? Egal, ich rede lieber von „Frühaufstehern“ und „Nachtmenschen“. Wobei hier nicht die Länge des Schlafes das Thema ist, sondern die Zeit, an denen man am liebsten arbeitet. Denn genug Schlaf braucht jeder, der Frühaufsteher wie auch der Nachtmensch.

Frühaufsteher können um 5:00 Uhr aufstehen, schon mal zwei bis drei Stunden arbeiten um sich dann, schon motiviert durch die Erledigung der wichtigen Aufgaben, ins Alltagsgeschäft zu stürzen. Sie schätzen die Ungestörtheit am Morgen und die Frische des Tages.

Nachtmenschen können um 23:00 Uhr noch mal so richtig aufdrehen und zwei bis drei Stunden arbeiten, bevor sie, durch die Erledigung der Aufgaben zufrieden, schlafen gehen. Sie schätzen die Ungestörtheit der Nacht und die fehlende Ablenkung durch das Tageslicht.

Tja – wo ist denn jetzt der Unterschied? Beide haben sich für ihre wichtigen Arbeiten eine Zeit ausgesucht, in der sie ungestört sind. Beide sind zufrieden, weil sie Zeit für ihre wichtigen Aufgaben gefunden haben. Das ist doch der relevante Punkt, oder? Wann wir diese wichtigen Arbeiten erledigen, ist dagegen nicht relevant.

Es geht ja noch komplizierter. Ich mutiere jedes Frühjahr vom Nachtmenschen zum Frühaufsteher – dank der Sommerzeit. In der Winterzeit werde ich wieder zum Nachtmenschen. Ich hasse es nämlich, vor der Sonne aufzustehen!

Also: Wenn sie Frühaufsteher sind: Stehen sie drei Stunden vor ihrer Arbeit auf und erledigen schon mal die wirklich wichtigen Dinge. Und wenn sie Nachtmensch sind: Erledigen sie ihre wichtigen Dinge drei Stunden vor ihrer Schlafenszeit.

Hauptsache, sie erledigen ihre wichtigen Arbeiten, damit sie ihr Leben führen, nicht ihr Leben sie!

Kennen sie auch solche falsche Glaubenssätze zur Produktivität?


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Frank Feldhaus

Über den Autor

Berater für Führung und Organisation.

Ärgert sich über alles was nicht funktioniert. Weiß aber, dass Perfektion schrecklich langweilig ist und dass wir Probleme brauchen, um daran zu wachsen. Ein ewiger Widerspruch...


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